Interview: James Cravens

„Es gibt keinen Weg, ein guter Kämpfer zu werden, ohne manche Sachen durchzumachen. Aber es gibt so viel dummes Training, das nur dem Körper schadet und nichts erreicht, außer dich ein bisschen abzuhärten.“

Für das folgende Interview haben James Cravens und Olaf Pachten sich für einige Wochen E-Mails hin- und hergeschrieben und sich schließlich für einen Sonntagnachmittag (bzw. -vormittag in Florida, wo Cravens lebt) entschieden, um das Gespräch per Skype führen zu können. James Cravens sitzt in seinem Wohnzimmer auf der Couch und ist während des Gesprächs sehr konzentriert. Ab und zu blitzt sein Humor auf, besonders wenn es um Anekdoten aus der Zeit mit seinem Lehrer Christopher Casey geht.

James, wann hast du angefangen, das Chinesische Boxen zu erlernen?

Ich habe 1973 angefangen, bei Mr. Casey zu trainieren. Zu dieser Zeit unterrichtete er hauptsächlich Kenpo und sein Chin Na. Er unterrichtete auch etwas Hsing-I und einige kleinere Teile Bagua, aber ich denke, dass er in dieser Zeit seine Chinese Boxing Theorie entwickelte. Er unterrichtete an der „Georgia-Tech“ in Atlanta und ich war zu dieser Zeit noch bei meinem alten Lehrer. Der gab mir jedoch die Erlaubnis, mit Casey zu trainieren, wann immer ich Lust dazu hätte. Er hatte einen Club an der „Georgia Tech University“, einer Fachschule für Maschinenbau, und unterrichtete dort eine Gruppe von Studenten. Ich ging zu ihm, um Kenpo und einige andere Dinge zu lernen, aber ich denke, zu dieser Zeit war er mehr daran interessiert, seine Theorie zu entwickeln.

1976 wurde ich offiziell sein Schüler. Ich verließ meine andere Gruppe, ging ganz zu Mr. Casey, und er begann damit, das Kenpo Curriculum und einige andere Dinge, die ich bei ihm begonnen hatte, zu vervollständigen. Innerhalb dieser vier Jahre lernte ich Wing Chun, Chin Na, einige Bagua Teile und Hsing-I von ihm.

Die Entwicklung seiner Chinese Boxing Theorie kam wohl erst zum Zeitpunkt seiner Abreise nach Deutschland zur vollen Entfaltung. Ich denke, dass Manfred Steiner dabei eine Rolle gespielt hat, ihm zu helfen, seine Theorie darin zu überprüfen, ob sie auch gegen einen so starken Gegner wie Manfred bestehen würde. Das war ein wichtiges Element in seiner Entwicklung.

Du hast geschrieben, dass sich nach seiner Rückkehr aus Deutschland die Chinese Boxing Boards entwickelten. Wenn man diese studiert, fällt auf, dass darin wirklich eine Menge Information enthalten ist. Wo sollte man deiner Meinung nach mit einem Anfänger beginnen? Unterrichtest du die Basistechniken, oder bist du der Meinung, dass einer der traditionellen Stile hilfreicher ist, um einen Einstieg in das Chinesische Boxen zu bekommen?

Genau genommen haben die Boards einen Entwicklungsprozess durchlaufen. Ich trainierte damals alle drei Monate für eine Woche bei ihm und wenn ich zurückkam, wollten meine Schüler immer das lernen, was er mir beigebracht hatte. Nach einiger Zeit wurde uns klar, dass dies zu unzusammenhängend war. Mr. Casey rief mich oft an und fragte mich, was meine Schüler sagen würden. Ich erklärte ihm die Situation und das veranlasste ihn zu der Idee, die Chinese Boxing Boards zu entwickeln. Einer seiner früheren Lehrer vom „American Jiujitsu Institute“ in Hawaii hatte diese Methode, seine Kampfkunst zu unterrichten. Im Jiujitsu haben sie die Würfe, den Bodenkampf, ein kleineres Chin Na Board usw. Er war der Meinung, dies sei eine gute Idee, also stellte er ein Set aus zehn Boards mit jeweils 25 Punkten zusammen. Er erzählte mir, dass er sie nicht danach organisiert hatte, was ein Anfänger lernen sollte, sondern dass es eine Zusammenstellung der Sachen sei, die ihm am besten gefielen.

Also begannen wir zu unterrichten und die Frage war: Was ist mit dem Training der inneren Kampfkünste und der anderen Formen wie z.B. Wing Chun und White Crane? Er hatte ein Board zu den Formen, in das er Tai Chi, Bagua, Hsing-I, Wing Chun und Monkey Boxing packte. Aber er sagte mir, hinsichtlich der Form glaube er daran, dass es wahrscheinlich ausreichen würde, wenn man nur eine innere Bewegungsart übt, und dass man dazu die Techniken der Boards lernen könnte, aber dabei zumindest eine innere Basis der Bewegung haben würde.

Nach seinem Tod blieb mir nichts anderes übrig, als die einzelnen Teile zusammenzufügen, und mir wurde klar, dass die Boards nicht so organisiert waren, dass sie von Anfängern zu Fortgeschrittenen führten. Meine ersten Gedanken waren noch etwas unausgereift. Ich zog nach Florida um und wollte nicht, dass die Boards irgendetwas von dem, was er unterrichtet hatte, ausließen. (lacht!)

Ich meine, diese Boards, die ich zusammengestellt hatte, waren gigantisch! Ich hatte ungefähr 16 Boards und die Boards beinhalteten ungefähr 50 oder 60 Sachen, weil ich alles aus den unterschiedlichen Curricula dort hinein gepackt hatte. Es hat nicht allzu lange gedauert, bis ich merkte, dass es so nicht funktionieren würde. Die Leute waren damit überfordert und ich hätte das von Anfang an verstehen müssen, aber ich wollte einfach alles von dem, was er unterrichtet hatte, erhalten. Das wirkliche Problem war, dass ich die Hauptbotschaft, die er unterrichtete, vergessen hatte. Du musst zu dem Einfachen zurückkehren und verstehen, dass die Vielzahl der Techniken keinen Sinn macht ohne die Grundlagen der einfachen Prinzipien. Das ist eine Lektion, die ich seitdem mehrfach gelernt habe, und so kam ich dazu, die kleineren Boards zu entwerfen, die wir heute die Chinese Boxing Core Synthesis Boards nennen.

Ich behielt die 16 Boards, die ich anfänglich entworfen hatte, reduzierte aber die Anzahl der Sachen auf jedem Board auf 12. Zudem ordnete ich die Techniken so, wie ich sie einem Anfänger beibringen würde, um dann auf einen höheren Level fortschreiten zu können. Begleitend dazu fügte ich etwas zusammen, von dem Casey viel gesprochen hatte, aber es nie in einer geordneten Form herausgebracht hatte: das Chinese Boxing Encounter (das Aufeinandertreffen/Gefecht im Chinese Boxing). Das ist das Studium von Entry (Eingang), das Studium von Touch (Berührung) und das Studium vom Finish (Beenden) im realistischen Zweikampf. Innerhalb der Lehren des Encounter können wir jede Technik verstehen und wie diese Technik im Encounter ihr Ziel erreicht. Du kannst sogar zu den einfachen Synthesis Boards gehen und dir eine Technik aussuchen und herausfinden, wie diese Technik in das Encounter passt. Das gibt uns eine wesentlich rationalere Herangehensweise an das Boxen, anstatt zu sagen: „Lass uns das Hand-Board durchgehen mit all seinen Techniken, dann lass uns das Fuß-Board durchgehen und dann lass uns sehen, wie wir das im Kämpfen anwenden.“ Das Encounter in seinen drei Teilen zu verstehen, hilft uns sehr dabei, alle einzelnen Techniken zu verstehen.

Den Unterricht der alten Stile betreffend, ist das genau so möglich. Es hängt davon ab, was du betonen möchtest. Wenn du deinen Schülern den besten Weg aufzeigen willst, Kampffähigkeiten zu entwickeln, dann bietet das Synthesis Board alle effizienten Techniken. Wenn also jemand all dies tut und die Chinese Boxing Theorie dabei nutzt, muss er die Prinzipien von Verwurzeln, Nachgeben, Durchlässigkeit, ganzheitlicher Bewegung, Wandlungsfähigkeit, starker Projektion, Zentrierung usw. entwickeln. Wie man das machen soll?

Du kannst das tun, indem du an den Bewegungen des Encounter arbeitest. Aber ich denke, der bessere Weg ist es, sich in einer der inneren Kampfkünste zu bewegen. Wenn man das gut kann, wenn man in der Lage ist, sich viele Minuten zu bewegen und dabei eine Wurzel, eine wandlungsfähige Balance, eine ganzheitliche Bewegung usw. beizubehalten, verändert das eine Menge an der Art und Weise, wie jemand steht und sich bewegt. Diese Angewohnheiten müssen erlernt werden und dann können sie hinter den Techniken stehen, anstatt dass die Techniken hohl und leer sind. Die Stile können für sich selbst gelernt werden und dann kann jemand, der den Zweikampf versteht, einem beibringen, sie in der Art des Chinesischen Boxens anzuwenden. Meiner Meinung nach kann ich das besser durch die Synthesis Boards, während ich einen Schüler dazu bringe, eine der inneren Bewegungen zu machen.

Wie unterrichtest du heute?

Heute bin ich älter und bringe einer Menge alter Menschen die inneren Bewegungskünste bei, hauptsächlich Tai Chi für die Gesundheit. Ich unterrichte viel davon. Etwa 30–35% meiner Schüler sind immer noch etwas jünger und machen Chinese Boxing. Ich habe eine Gruppe in Tennessee, die ich alle Vierteljahre unterrichte, und ich habe eine Handvoll Privatschüler hier, die ich unterrichte. Die meisten davon sind Langzeitschüler und seit Jahren bei mir.

Wir arbeiten an Sachen innerhalb des Encounter und an Dingen, die den jeweiligen Schüler interessieren. Manchmal kommen diejenigen, die Chinese Boxing machen, in Paaren zusammen und manchmal arbeite ich mit einzelnen Schülern. Es entwickelt sich also immer noch speziell unter den Jüngeren und manche der Älteren haben auch immer noch Interesse, jedoch kein Interesse mehr daran, verletzt zu werden. Wir haben durch unsere eigenen Fehler eine Menge dazugelernt, was die Sicherheit angeht. Wenn du eine Kampfkunst erlernst, deren Schwerpunkt darin liegt, in einer Situation auf Leben und Tod zu kämpfen, hast du eine Menge Schwierigkeiten, mit denen du umgehen musst. Du musst entscheiden, wie du die eine oder andere Aktion trainierst, ohne dich dabei ständig gegenseitig zu verletzen. Das war eine wirkliche Herausforderung in all den Jahren. Wenn du jünger bist, dann denkst du nicht viel darüber nach, machst dir keine Sorgen. Manchmal blickst du zurück und denkst dir: „Wow, wir hätten uns dabei wirklich böse verletzen können, wir haben echt Glück gehabt“, weißt du? (lacht!)

Du wirst also älter und achtest darauf und hoffst, den Jüngeren dabei zu helfen, unnötige Verletzungen zu vermeiden. Ich meine, es gibt keinen Weg, ein guter Kämpfer zu werden, ohne manche Sachen durchzumachen. Aber es gibt so viel dummes Training, das nur dem Körper schadet und nichts erreicht, außer dich ein bisschen abzuhärten. Abhärtung ist wichtig, aber die meisten meiner Probleme, Schmerzen und Einschränkungen heute im Alter sind direkt auf dieses dumme Training zurückzuführen. (lacht!)

Es ist so blöd, dass du erst alt werden musst, um etwas weise zu werden. Wenn man diese Weisheit nur schon hätte, solange man jung ist! (lacht!)

Wie ist die Verbindung zu Detlef Zimmermann zustande gekommen und wann bist du das erste Mal nach Deutschland gereist?

Die erste Verbindung zu Detlef war Stefan, einer seiner Schüler. Er war ein langjähriger Schüler. Ich kannte Detlef nicht wirklich gut. Ich glaube, ich hatte ein Bild von Manfreds Gruppe und darauf war auch Detlef abgebildet. Aber ich wusste nicht, wer er war, und glaube auch nicht, dass er von mir wusste. Aber als ich anfing, das Internet zu nutzen und eine Webseite aufgebaut hatte, muss Stefan diese Seite gesehen und mit Detlef darüber gesprochen haben. Er hat ihm gesagt, dass er zum Trainieren hierher kommen wolle, da ihm klar geworden war, dass ich mit Casey studiert hatte.

Also kam Stefan hierher und rief mich an, als er im Urlaub in der Gegend war. Er sagte, er sei für zwei oder drei Wochen in der Stadt und wolle gern an meinem Unterricht teilnehmen. Also haben wir uns getroffen, um ein bisschen Push Hands zusammen zu trainieren. Das war das, was er wollte, und ich bemerkte, dass, wenn er pushte, dies nicht unbedingt Tai Chi war. Ich konnte sehen, dass er das Zentrum verstand und ein gutes Konzept davon im Kopf hatte, aber was er eigentlich machte, war auf eine Gelegenheit zu warten, und wenn er eine fand, so schnell und hart wie möglich nach vorne durchzustoßen, in der Hoffnung, dich aus dem Gleichgewicht zu bringen und umzuhauen. Das war im Grunde genommen sein Push Hands. Er war ein ziemlich athletischer Typ und er war ziemlich gut in dem, was er machte.

Ich hatte zu dieser Zeit bereits genug Erfahrung und mir war bewusst, dass so etwas passieren könnte, also habe ich mich ganz gut gegen ihn halten können. Aber ich habe ihn mit in meinen Unterricht genommen und einige meiner Jungs hatten wirklich Probleme mit diesem Nach-vorne-Durchstoßen. Ich hatte ihnen vorher nichts erzählt und er stieß nach vorne los und zwei oder drei von den Jungs wurden von ihm umgehauen. Ich erinnere mich, dass ich in den Stunden, an denen er nicht teilnahm, den anderen erklären musste, was sie falsch gemacht hatten, und so diente er als ein sehr nützliches Werkzeug. (lacht!)

Stefan ging zurück und muss Detlef erzählt haben, dass es sich lohnen würde, mich herüberzuholen, und so bekam ich schließlich eine Einladung. Also ist das alles mehr oder weniger durch Stefans Besuch entstanden. So hat das Ganze angefangen und ich erinnere mich, als ich das erste Mal nach Deutschland gekommen bin und Detlef eine Privatstunde haben wollte, um Push Hands zu machen (lacht!) … da wusste ich, was auf mich zukommen würde. (lacht!)

Weißt du, was Mr. Casey gemacht hat, bevor er in die Internationalen Versicherungen eingestiegen ist, bevor er nach Deutschland kam?

Er wuchs in Atlanta Georgia auf und war ein hochbegabtes Kind. Seine Mutter war eine Lehrerin im öffentlichen Schuldienst und eine Lehrerin für hochbegabte Kinder. Sie hatte zwei Kinder. Chris und seine Schwester, die ebenfalls hochbegabt war. Als Chris sieben oder acht Jahre alt war, fand er heraus, dass in der Stadt ein Jiujitsu Kurs stattfinden würde, und als er seine Mutter fragte, ob er daran teilnehmen könnte, sagte sie ja. Als sie ihn zu seinem ersten Jiujitsu Unterricht fuhr, sagte er ihr, dass dies der glücklichste Tag in seinem Leben sei und dass Kampfkunst zu erlernen das war, was er mehr als alles andere wollte.

Er begann zunächst für einige Jahre mit Jiujitsu. Dann kam er zum Okinawa Karate, dem Shorin-Ryu. Im Shorin-Ryu Karate machte er den vierten Schwarzgurt. Später kam er zur „American Kempo Association“ mit Simeon Eli als Lehrer. James Mitose brachte etwas, was sich „old pine tree style“ nannte, von Japan nach Hawaii und unterrichtete Simeon Eli. So studierte er Kenpo mit Simeon Eli und bekam dort den zweiten Schwarzgurt. Er studierte auch mit dem „American Jiujitsu Institute“, wo sie unterschiedliche Lehrer hatten.

Wally Jay war zwar mehr ein Kollege, aber er brachte ihm Einiges bei. Im Jiujitsu erhielt er den vierten Schwarzgurt. Er war in der Lage, auf Hawaii von mehreren Lehrern zu lernen. Einige von ihnen brachten ihm schon früh etwas Bagua und Hsing-I  bei. Aufgrund des Einflusses von Wally Jay veränderte sich sein Jiujitsu in eine Richtung, die wir als Chin Na Technik bezeichnen würden. Das ist zumindest ein Teil von Chris generellem Hintergrund.

Im College war Philosophie sein Hauptfach und sie war seine zweite Liebe neben der Kampfkunst. Er studierte Philosophie für viele Jahre. Er wollte seinen Master-Abschluss in Philosophie machen, aber die westlichen oder amerikanischen Schulen waren der östlichen Philosophie gegenüber nicht sonderlich freundlich eingestellt. Sein Wunsch war die östliche und westliche Philosophie in seinen Schriften miteinander zu verbinden, aber er konnte keinen Referenten finden, der ihm dies in seiner Arbeit erlaubte.

Direkt nach dem College ging er ins Versicherungsgeschäft. Er lernte seine Frau in der Gegend um Washington DC kennen, wo er am „George Mason College“ war und ging direkt in das Versicherungsgeschäft. Sein Ziel war es, sich bis zum Versicherungsvermittler hochzuarbeiten, um die Freiheit zu haben, reisen und die Kampfkünste studieren zu können. Eine seiner Bemerkungen mir gegenüber war, dass jeder Boss für den er gearbeitet hatte, ein Idiot war. (lacht)

Also kletterte er die Leiter immer höher, bis zu der Höhe des Vizepräsidenten, von wo aus es nicht mehr wirklich weiter ging. Ihm wurden bessere Jobs angeboten und er wechselte auf dieser Ebene durch einige Firmen, aber das war so weit, wie er nach oben kommen konnte. Die normalen Versicherungen interessierten ihn nicht wirklich, für ihn war es lediglich eine Art, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er lernte etwas kennen, das sich „internationale Rückversicherung“ nannte und ging nach Seattle, um das dort für einige Jahre zu studieren. Dort traf er Taki Kimura und die Jeet Kune Do Verbindung. Nach zwei Jahren in Seattle bekam er das Angebot nach Hannover zu gehen, um dort für die „Hannover Rück“ zu arbeiten. Seine Aufgabe war es, eine Rückversicherungs-Abteilung aufzubauen, die mit der „Lords of London Insurances“ und den von ihr angebotenen Produkten konkurrieren konnte. Das war ein interessanteres Feld innerhalb der Versicherungen für ihn, aber wenn ich ihn über die Jahre hinweg fragte, wie sein Job sei, sagte er immer: „Ein Job ist ein Job, weißt du?!“

Irgendwann wurde er es leid, wie er sagte: „Diesen Leuten, die schon so viel Geld haben, dabei zu helfen, noch mehr Geld zu verdienen“, dass er sich dazu entschied, aufzuhören. Die „Hannover Rück“ schickte ihn zurück in die Gegend von New York, um eine Filiale in den USA aufzubauen. Letztlich war er nicht mit den Versprechungen zufrieden, die ihm gemacht wurden, und so kündigte er schließlich. Im letzten Jahr blieb er einfach nur in Atlanta und hatte einige Jobs, die er in Erwägung zog, die aber letztendlich nicht zustande kamen. „Hannover Rück“ war die letzte Firma, für die er gearbeitet hat.

Als Mr. Casey nach Taiwan gegangen ist, um von Shen Muo Hui, Wang Shu Shen und all den anderen zu lernen, muss es gerade in dieser Zeit, besonders als Westler, doch sehr schwierig gewesen sein, an diese Leute heranzukommen. Wie ist ihm das gelungen?

Es war eine Kombination von mehreren Dingen. In Atlanta hatte er Verbindung zur „Koushu Federation“ bekommen. Ich glaube, er fing 1971 in Taiwan an, hatte aber schon vorher mit dem chinesischen Generalkonsul der taiwanesischen Regierung in Atlanta Kontakt aufgenommen. Er unterrichtete den Sohn des Generalkonsuls, daher kam die Verbindung zustande. In Caseys erstem Buch, dem Koushu-Buch, ist eine Abbildung des Sohnes mit dem Breitschwert in verschiedenen Positionen zu sehen. Diese Verbindung verschaffte ihm Zugang zu Taiwan.

Die Koushu Federation war ein Teil des Bildungsministeriums, wurde aber finanziell nicht gefördert. Sie hatten einfach nicht das Geld dafür. Was sie jedoch machten, war die jährliche Veranstaltung eines Turniers. Mit dabei waren alle Schulen aus Taiwan, die Aufführungen und Ähnliches machten. Casey hatte Robert Smiths Buch „Chinese Boxing“ gelesen, in dem er von diesen Lehrern sprach, und Casey traf schließlich einen Großteil von ihnen.

Er ging also nach Taiwan und hatte irgendwie einen Deal mit der „Koushu Federation“ abgeschlossen, so in der Art: „Ihr gebt mir Zugang zu einigen dieser Lehrer und ich gebe Geld in die „Koushu Federation“, sodass die Organisation etwas besser finanziert ist.“ So kam er hinein. Zudem hatte er einige Lehrer, so wie Tao Ping Siang, den er bereits in Seattle getroffen hatte. Tao Ping Siang war seine Verbindung zu einigen der anderen Lehrer. Meister Tao kannte scheinbar jeden und war sehr gut vernetzt. Mr. Casey war keine immer einfache Persönlichkeit, aber er verstand, dass er, wenn er etwas haben wollte, selbst auch etwas flexibler sein musste.

Zu dieser Zeit verdiente er recht gut, also bezahlte er auch seine Lehrer sehr, sehr gut. Und er war durchweg loyal, er machte keine Sachen, die sie nicht wollten. Genauer gesagt mochten einige Lehrer nicht, dass er mit anderen Lehren studierte. Einiges von dem änderte sich gerade, aber es gab immer noch einige Lehrer mit sehr traditionellen Ansichten. Sie mochten ihn sehr und die Tatsache, dass er ernsthaft bei der Sache war und sie nicht ausnutzte, sie gut bezahlte und sie bei seiner Rückkehr sehen konnten, dass er hart trainiert hatte und loyal war, brachte ihm bei einigen von ihnen mehr und mehr Vertrauen ein. Er erzählte mir, dass er bei einigen Lehrern Fehler gemacht hatte, einige, bei denen er wünschte, das wäre nicht passiert, weil er dadurch den Zugang zu ihnen verloren hatte. Aber er lernte daraus und wurde mit der Zeit immer flexibler und schließlich hatte er einen guten Kern von Leuten, die ihm viel beibringen konnten

Für welchen Zeitraum reiste er nach Taiwan?

Ich weiß, dass er Verbindungen hatte, weil ich Bilder von ihm mit der „Koushu Federation“ von 1971 habe. Also wahrscheinlich einige Zeit davor. Ich kann dir nicht sagen, wie lange vor 1971. Er ist 1986 gestorben, also hatte er etwa 15 oder 16 Jahre, aber ich weiß nicht, wie lange das in die späten 60er Jahre zurückgeht. Ich weiß es einfach nicht.

Wie alt war er, als er starb?

Nur 39 Jahre alt.

Was ist passiert?

Als er mit einigen seiner Lehrer über dieses Angebot sprach, war speziell Lo Man Kam streng dagegen. Seine Lehrer mochten die Japaner nicht besonders und waren dagegen, die chinesische Kampfkunst mit den Japanern zu teilen.

Im September ’86 begann er wirklich starke Kopfschmerzen zu bekommen. Er hatte zwar schon immer Kopfschmerzen gehabt, aber diese waren wirklich schlimm und hielten für einen langen Zeitraum an. Mr. Casey war Medikamenten gegenüber schon immer sensibel gewesen, also nahm er sie nicht wirklich gerne. Aber als die Kopfschmerzen so stark wurden, waren die Ärzte der Meinung, dass es sich durchaus um einen Tumor handelt könnte. Er sollte einen Kontrastmittel-Test machen, wobei Kontrastmittel in den Körper gespritzt wird. Aber Casey wollte diesen Test nicht machen, weil seine Mutter einmal beinahe bei einem solchen Test gestorben war. Also versuchte er es einige Wochen mit der Einnahme von Schmerzmitteln gegen die Kopfschmerzen. Sie waren bei Nacht schlimmer und nachdem er die Schmerzmittel über einige Tage eingenommen hatte, sagte er: „Ich kann das nicht weiter machen, ich bin vollkommen nutzlos!“ Mr. Casey, wenn man ihn kannte, war sehr stolz auf seinen scharfen Verstand und ihm war klar, dass dieser ihm alles ermöglicht hatte, was er in diesem Leben erreicht hatte.

Weil ich also sein Denken und seine Philosophie verstand, war mir klar, dass das Risiko bestand, dass er sich das Leben nehmen könnte. Aber er hielt mit den Kopfschmerzen die ganze Zeit von September bis Dezember durch und schaffte es bis zum 13. Dezember. In der ganzen Zeit sagte er mir nicht, was los ist. Er rief mich in dieser Zeit oft an und wir hatten Unterhaltungen und einige dieser Unterhaltungen fanden mitten in der Nacht statt. Er begann zu erzählen und plötzlich änderte er sich und war nicht mehr Mr. Casey. Was er erzählte, ergab im Zusammenhang zu seiner normalen Kommunikation keinen Sinn mehr. Es war nichts Dramatisches, was er sagte, aber es war klar, dass er nicht er selbst war während dieser Zeit mit großen Schmerzen. Ich wollte mit seiner Frau darüber sprechen, aber nicht, wenn er mit im Raum war.

Es war schwierig, sie einfach anzurufen und zu fragen, was los sei. Das waren die einzigen Anzeichen, dass etwas nicht stimmte, denn in diesem Zeitraum hatte er mit mir eine Vereinbarung getroffen. Ich arbeitete zu dieser Zeit in einer Fabrik als Werksleiter, hatte drei kleine Kinder, arbeitete lange und konnte daher nicht so oft zu ihm fahren. Es sind nur zwei Stunden Fahrt, aber ich konnte nicht oft runter fahren. Also sagte er: „Da du nicht so oft hier runter kommen kannst, warum unterrichte ich nicht samstags einige deiner Schüler für drei Stunden, das würde dir helfen, einiges indirekt über sie zurückzubekommen“.

Also verpflichteten sich etwa zwanzig meiner Schüler dazu, jeden Samstag zu ihm zu fahren. Sie fuhren über 10 Wochen dorthin, bis zu der Zeit seines Todes. Sie bemerkten nichts … natürlich wussten sie, dass er seltsam ist, natürlich wussten wir alle, dass er seltsam ist (lacht), also schauten sie auch nicht nach irgendwelchem ungewöhnlichen Verhalten. Ich war nicht da, also kann ich nicht sagen, ob irgendetwas anders war, aber er war in der Lage, innerhalb dieser drei Unterrichtsstunden zu funktionieren. Aber als ich mich später mit seiner Frau traf, erzählte sie mir die ganze Geschichte über das, was passiert war. Ich hatte eine Ahnung, dass etwas nicht stimmte, von den Unterhaltungen, die wir hatten, aber ich wusste nicht, was es war. Er versuchte, durchzuhalten, aber ich denke, ihm ist es bewusst geworden. Seine Frau war dabei, als er sich mit mir unterhielt. Und sie erzählte mir, dass sie ihm einmal, nachdem er aufgelegt hatte, erzählte, was er gerade zu mir gesagt hatte und er das nicht glauben konnte. Also hat er sich zuletzt das Leben genommen, zweifellos weil er wusste, dass sein Verstand nicht mehr derselbe sein würde.

Wie hast du danach weiter gemacht?

Es war natürlich ein Schock, aber unter den Umständen und mit dem Verständnis für seine Art des Denkens konnte ich nachvollziehen, warum er das tat. Aber zuerst ziehst du dich zurück und sagst dir, weißt du (pausiert), da war noch so viel, das ich lernen wollte. Aber darüber musst du hinwegkommen. Und dann habe ich mich zusammen genommen und habe mir gesagt ok, lasst uns darüber sprechen, lasst uns daran arbeiten und lasst uns das bewahren, was seine Lehre und sein Wesen ausgemacht hat. Lasst uns sehen, ob wir daraus etwas Zusammenhängendes aufbauen können. Natürlich war es für mich eine große Hilfe, dass er Leute wollte, die für sich selbst denken und nicht einfach nur etwas kopieren. Ich hatte viele Notizen und viele Konversationen und so viel Material, das er mir beigebracht hatte.

Also habe ich, anstatt die Tatsache zu betrauern, dass ich noch mehr von ihm hätte lernen können, mir die Frage gestellt: „Warum war er so gut und was hat er zusammengestellt, das so besonders gewesen ist?“ Das war für die folgenden Jahre das, was ich versucht habe. Und das war, als mir bewusst wurde, dass mehr nicht notwendigerweise auch mehr ist. Es geht darum zu verstehen, was man dir gegeben hat, und zu verstehen, warum er so gut war und was ihn so gut werden ließ. Das war der ganze Prozess.

Ich hatte einen oder zwei Langzeitschüler, die wirklich richtig niedergeschlagen waren. Aber sie haben mit mir durchgehalten und sind da auch wieder rausgekommen. Zu Beginn war es wirklich ein richtiger Schock, aber das Leben muss weiter gehen und so habe ich versucht, das Beste aus der Situation zu machen, weil ich das, was er unterrichtet hat, wertschätze, speziell innerhalb der Kampfkünste. Wie er in der Lage gewesen war, so viel aufzunehmen und es für das zu sehen, was es war, und in der Lage war, die wichtigsten Komponenten zusammenzufügen, diese Art des Denkens schätze ich sehr.

Später hast du Kontakt zum Chen Tai Chi bekommen und das weiter studiert. So weit ich weiß, hast du zuerst Yang Style Tai Chi und die Cheng Man Ching Form von Tao Ping Siang gelernt. Was hat dich am Chen Tai Chi interessiert?

Um genau zu sein, habe ich zuerst Caseys Version von Tao Ping Siangs Form gelernt. Nach Mr. Caseys Tod begann Meister Tao für ein paar Wochen jedes Jahr zu mir zu kommen und ich habe die kurze Yang Form direkt von ihm gelernt. So war ich in der Lage, die Unterschiede zu sehen, zwischen dem, was Casey gemacht hatte, und dem, was Meister Tao unterrichtete. Aber von ’86 bis ’93 war ich ohne Lehrer, außer Meister Tao, der jedes Jahr für ein paar Wochen zu mir kam. Dann kam eines Tages ein Typ in meine Schule, ein junger Mann aus China. Er war sehr leicht und machte nicht den Eindruck eines großen Kämpfers, aber als er sein Chen Tai Chi demonstrierte …

Mr. Casey hatte mal zu mir gesagt, dass ich, falls ich einmal gutes Chen Tai Chi sehe, dran bleiben sollte, weil es eine gute Kunst ist. Ich hatte bislang schon Einiges gesehen, aber nie hatte es sich richtig angefühlt. Da gab es Leute, die sich beim fa jing, dem schnellen Loslassen von Kraft, auf eine Art schüttelten, die nicht richtig wirkte. Ihre Kraft kam mir unecht vor, es sah aus, als hätte sie keine Substanz. Ich hatte zwar die Gelegenheiten, aber mich hatte bislang nichts überzeugt.

Als dieser Typ zu mir kam und seine Form demonstrierte, war ich von einigen Sachen wirklich beeindruckt und stellte ihm Fragen zu seinem Tai Chi. Ich fragte ihn, ob sein Tai Chi  zum Kämpfen geeignet sei oder nur für die Gesundheit. Er sagte: „Wir glauben, was gut für das eine ist, ist auch gut für das andere.“ Das war eine Antwort, die ich nicht erwartet hatte und auch nicht gewohnt war zu hören. Mr. Casey hatte kein spezielles Interesse am gesundheitlichen Aspekt, ihn interessierte nur der Kampfkunst-Hintergrund. Der Kerl hingegen machte die Aussage, dass, wenn du etwas für deine Gesundheit tust, das nicht nachteilig, sondern eher nützlich für den kämpferischen Aspekt sein kann.

Was mir das Chen Tai Chi über die Zeit hin gezeigt hat, war, dass mir die Struktur des Körpers nicht im Detail beigebracht worden war, nicht die Regeln des Kwa (der Struktur um das Becken) und wie alles ausbalanciert wird. Meine Chen Tai Chi Lehrer hatten viele Details über den strukturellen Aufbau und viele großartige Wege, die Entspannung des Körpers zu unterrichten, anstatt nur zu sagen, dass man sich mehr entspannen muss.

Ich glaube nicht, dass Mr. Casey diesen Dingen begegnet ist. Wenn Meister Tao etwas darüber wusste, dann hat er es nicht unterrichtet. Meister Tao unterrichtete sowieso auf die Art, die Westler nicht mögen: „Du folgst mir und kannst es für dich selbst rausfinden. Stell keine Fragen!“ Aber als dann seine letzten Jahre angebrochen waren, hat er angeregt, Fragen zu stellen, aber so war es eben am Anfang und ist wahrscheinlich auch die Art, wie Meister Tao Casey unterrichtet hatte.

Es gibt einen definitiven Unterschied in der Art und Weise, wie viele Leute ihren Körper strukturieren, und dem, was die Leute tun, die innere Kampfkunst machen. Für mich war das nicht nur im Chen Tai Chi so. Hsing-I-Leute und viele Bagua-Leute haben die gleichen Regeln. Es war kein Eigentum des Chen Tai Chi, aber es war der erste Lehrer, der das mir gegenüber hervorgehoben hat.

Einer der Konflikte war das starke Nach-vorne-Kippen der Hüfte, das Lo Man Kam seinen Wing Chun-Leuten beibrachte und auf das Mr. Casey sich bezog. Wenn man Mr. Casey bei seinen Sachen zusah, zeigte er die meiste Zeit keine nach vorne gekippte Hüfte, besonders keine so stark nach vorne gekippte Hüfte.

Das alles brachte mich dazu, eine Menge nachzudenken, zu trainieren und auszuprobieren. Mir wurde klar, dass es dem, was wir bereits im Chinese Boxing gelernt hatten, nur helfen würde. Ich hatte nicht das Gefühl, von den Chen Tai Chi-Leuten etwas über das Kämpfen zu lernen, was ich nicht schon vorher wusste. Aber die strukturellen Dinge helfen der ganzheitlichen Bewegung, der Projektion, helfen bei so vielen Sachen, die wir schon kennen. Für mich ist das wirklich ein fehlendes Puzzleteil gewesen und das ist meine Schlussfolgerung daraus.

Aus dem Grund bin ich den Dingen weiter nachgegangen und bin technisch gesehen immer noch ein Schüler von Chen Xiao Wang drüben in China. Da er aber sehr berühmt ist und viel reist, gibt es nicht mehr viel Zugang zu ihm. Über viele Jahre hinweg ist er jedoch hierher gekommen und wir hatten einige wirklich gute Sessions.

Es ist jedoch nicht der kämpferische Aspekt, weißt du. Ich habe kein System gefunden, das ich besser finde als Mr. Caseys Kampfsystem. Es ist das Verständnis dafür, deinen Körper dazu zu bringen, mehr für ganzheitliche Bewegung, Entspannung usw. zu tun. Es gibt die Dinge, die mich für die Chen Methode gewonnen haben. Ich bin kein strikter Vertreter für Chen Tai Chi. Bei älteren Leuten halte ich es für wichtig, gesunde Bewegung zu machen, und da ist Tai Chi eine großartige Sache. Genau genommen kann man die Sachen, die ich im Chen Tai Chi gelernt habe, auch leicht auf das Yang Tai Chi anwenden.

Wie ich schon sagte, diese Dinge sind kein Chen Tai Chi-Eigentum, es hat nur einige gute Lehrer, die Sachen mit mir geteilt haben, die ich sonst nirgends gelernt habe.

Um noch mal zu den Trainingsmethoden, die u heutzutage anwendest, zurückzukommen. Was ist deiner Meinung nach ein guter Weg für einen Anfänger, das Verwurzeln, die Struktur und den Fluss von Energie für sich zu entdecken?

Die Struktur kann innerhalb des Tai Chi, aber auch im Chinese Boxing unterrichtet werden. Es muss eine spezielle Art und Weise der Bewegung entwickelt werden. Dann kannst du fragen: „Wie kann ich meine Bewegungen aus dem Chinese Boxing Encounter mit all dem üben?“ Das kannst du, aber die langsame Bewegung hat eine tiefere, eine präzisere Entwicklung, weil du all die Sachen, die du falsch machst, direkt bemerken kannst. Wenn du dich richtig schnell bewegst, wirst du es nie genau wissen. Ich würde sagen, Tai Chi oder Bagua oder Hsing-I zu lernen, ist eine Möglichkeit, es herauszufinden.

Aber deine ganze Zeit dafür zu verwenden, wird dir nicht viel Fortschritt im Kämpfen bringen. Es kann also gemischt werden, es ist möglich, langsame Sachen im Encounter und in den Solo-Sachen zu machen, wobei dir ein Lehrer dabei helfen kann, das Verwurzeln zu lernen und zu entspannen, während du dich bewegst, ohne dass du eine Form lernst.

Du kannst sagen, dass es schwer ist, das zu tun, was einige Leute entwickelt haben. Selbst Casey, er hasste Form, aber er übte wirklich viel Bagua, Tai Chi und Hsing-I, weil alle Lehrer, die er respektierte, sagten: „Das ist gut für dich.“

Es lehrt dich für eine gewisse Zeit, unten zu bleiben: zehn, zwanzig, dreißig Minuten in der Wurzel. Innerhalb der Wurzel bringt es dir bei, dich so zu bewegen, dass du dich nicht übermäßig ausdehnst in deinen Beinen, deinen Schritten. Du bleibst in einer veränderlichen Art der Bewegung, es lehrt dich, für eine längere Periode eine ganzheitliche Bewegung beizubehalten.

Im Chinese Boxing habe ich herausgefunden, dass, wenn ich Anfänger unterrichte und Leute im Encounter korrigiere – ob das im Entry oder Yield and Counter oder Stop Hit oder was auch immer ist –, es in neun von zehn Fällen darauf hinausläuft, dass ihre Schritttechnik schlecht ist und sie zu schnell sind. Sie haben in dem Fall nicht die Disziplin des korrekten Gehens entwickelt. Zum anderen bleiben sie nicht unten, sie kommen statt dessen hoch. Ihre Energie kommt hoch. Es wird langsam alt, die Leute werden es leid, aber die meiste Zeit sind es immer die gleichen Korrekturen. Solange, bis sie es endlich so leid werden, dass sie anfangen, es zu lernen, und wenn sie es dann gelernt haben, wird ihnen klar: „Wow, ich habe soviel mehr Kontrolle, ich kann so viel mehr machen, wenn ich unten und in einer guten Position bleibe.“

Es ist einfach so, dass das Kämpfen eine Energie in dir freisetzt, die dem Untenbleiben entgegenwirkt. In der Lage zu sein, während des Kämpfens in diesem Zustand zu bleiben, ist die größte Herausforderung im Unterricht, weil es nicht besonders interessant ist oder viel Spaß macht, zu lernen unten zu bleiben und das auch noch richtig zu machen. (lacht)

Aber es sind die Basics, die dich richtig gut werden lassen, und schau dir an, was Casey machen konnte. Er konnte unten bleiben und er konnte akkurat gehen. Er war kein großer Athlet, aber er konnte die Energie kontrollieren, weil er in der Lage war, einige dieser fundamentalen Dinge zu beherrschen, die ihn richtig gut werden ließen. Also machen wir viel Basics und wenn jemand eine Technik lernen möchte, fein. Ok, jetzt kann er oder sie die Technik in den Encounter einbringen. Wenn er das hinbekommt, kriegt er das auch langsam hin? Kann er in der langsamen Bewegung auch unten bleiben? Langsam ist die einfachste Art, das hinzubekommen. Es wird schwerer, wenn du schneller wirst.

Ich würde den Leuten, die es ernst meinen, empfehlen, neben dem Chinese Boxing auch eine der inneren Bewegungsarten zu machen. Ein Chinese Boxing-Lehrer muss wissen, wie er diese beiden Sachen zusammenführt. Das war wirklich das, wozu Casey in der Lage war.

Wo siehst du das Chinese Boxing Institute in der Zukunft?

Diese Frage hat eine ermutigende Antwort. (lacht) Es ist so, dass ich eine Gruppe jüngerer Schüler habe. Ich sage jünger, sie sind in ihren Dreißigern oder Vierzigern. Eine jüngere Gruppe in Tennessee, die es wirklich ernst meint und wirklich Fortschritte macht, und das ist ermutigend für mich. Das Problem ist, dass ich in meinen Sechzigern bin, und viele meiner Schüler sind etwa in demselben Alter und viele von ihnen unterrichten nicht, um davon zu leben. Ich sehe, dass manche Dinge einfach aussterben können. Mann fragt sich oft, wie das passieren kann. Es liegt daran, dass niemand aus den jüngeren Generationen daran Interesse hat. Ein Teil der Verantwortung könnte darin liegen, dass die ältere Generation keine Lust hat zu unterrichten. Einiges sind einfach Generationslücken, speziell in der modernen Gesellschaft. Die Leute hier lernen MMA (Mixed Martial Arts) und sie lernen Jiujitsu. Das sind zur Zeit die populären Kampfkünste hier bei uns. Und sie machen sich über die traditionellen Kampfkünste lustig bis hin zum Chinese Boxing.

Sie wissen nicht, was es ist, es ist nie wirklich bekannt geworden, es ist ein Kunstbegriff. Du kannst es in Energy Boxing umbenennen und es wird nichts an seiner Popularität ändern. (lacht) Es ist eine spezialisierte Kampfkunst und kein Sport. Wenn Dinge kein Sport sein können, nimmst du ihnen den Grund, warum sich die Leute damit beschäftigen wollen. Die Zukunft liegt also darin, dass die jüngeren Generationen es weiter tragen. Ich kann sagen, dass ich einige Hoffnung habe, denn ich habe Schüler, die es wirklich ernst meinen und schon einige Jahre dabei sind. In Bezug auf ihr Alter sind sie wirklich schon ziemlich reif und ich beobachte viel Enthusiasmus bei ihnen im Moment. Es gibt also Hoffnung. Ich weiß nicht, wie es in Deutschland ist, aber es gibt ein bisschen Hoffnung hier in den USA, nur nicht viele Leute.

Stehen im Moment neue Buchprojekte bei dir an?

Ich hatte so viel zu tun, ich habe Tonnen von DVDs aufgenommen für Schüler, die ich überall im Land habe, doch bin ich zu vielen Sachen nicht gekommen, die ich die ganze Zeit schon machen wollte. Ich bin bereit für noch mindestens ein Chinese Boxing-Buch und das wird größtenteils kein „Wie-Buch“ werden, sondern zum großen Teil aus Theorie in Bezug auf den Encounter selbst bestehen. Da fühle ich, dass ich noch einen Beitrag leisten kann.

Es ist nur so, dass das Schreiben eines Buchs sich finanziell weniger lohnt als das Produzieren der DVDs. Und es ist eine Frage der Zeit, da ich das Unterrichten für meinem Lebensunterhalt mache und das den Großteil meiner Zeit in Anspruch nimmt. Das ist der Ausblick. Wenn ich schreibe, muss ich rauskommen, und wenn ich rauskomme, mache ich viele Fortschritte. Ich habe eine Ehefrau, die Korrektur liest, und das ist eine gute Ausgangssituation, mir fehlt einfach nur die Zeit. (lacht!)

James Cravens, vielen Dank für das Gespräch!

Bilder: James Cravens, Dirk Wetter

Zur Person:

James Cravens ist Präsident und Direktor des Chinese Boxing Institute International (CBII) und lebt in Coral Springs, Florida. James studiert die Kampfkünste seit 1965 und wurde 1973 direkter Schüler von Christopher G. Casey, dem Gründer des CBII. Er gibt Kurse und Seminare an vielen Orten in den USA und ist schon mehrmals als Kursleiter in Deutschland gewesen. Seit 1995 studiert er zudem Chen Tai Chi und ist seit 2006 offiziell ein direkter Schüler von Chen Xiao Wang.