Nachruf: Manfred Steiner

von Olaf Pachten

Als ich Mitte der 90er Jahre mit meinem Training in Manfreds alter Schule am Großen Kolonnenweg begann, hatte sein Schüler Detlef Zimmermann die Schule bereits von ihm übernommen. So habe ich Manfred zunächst nicht persönlich erleben können. Im Flur der Schule hing jedoch eine große Fotowand, an der man jedesmal vorbei musste. Vor und nach dem Training stand ich oft davor und betrachtete die Bilder, die quasi die Geschichte der Schule dokumentierten. Auf dieser Fotowand hingen zahlreiche Bilder von diversen Lehrgängen, Trainingslagern und Momentaufnahmen aus Detlefs Zeit in der Schule. Darunter befanden sich aber auch einige Bilder von Manfred.

Bei einem großen Teil dieser Aufnahmen muss Manfred in seinen 30ern gewesen sein und wer ihn aus dieser Zeit kannte, der weiß, dass er in seinen besten Zeiten eine mehr als eindrucksvolle Erscheinung gewesen ist. Muskelbepackt, sonnengebräunt, meist im ärmellosen Trainingsshirt, sein klassischer Schnurrbart, gerne auch mal grimmig dreinschauend. Jemand dem man auf den ersten Blick nicht nachts im Dunkeln begegnen und auf keinen Fall verärgern wollen würde.

Umso überraschter war ich, als ich Manfred das erste Mal bei einem Lehrgang für Physioenergetik (einer Sonderform der Kinesiologie) begegnet bin. Was mir direkt auffiel, war, dass seine Stimme so gar nicht zu seiner durchaus einschüchternden Erscheinung passen wollte. Seine Stimme war freundlich, zugewannt, mit diesem leichten Berliner Akzent und auch immer sehr humorvoll. Im ersten Moment hat mich diese Stimme eher an Peter Lustig von Löwenzahn denken lassen, besonders wenn er auf enthusiastische Art etwas erklärte. Ich bin sicher, Manfred hätte über diesen Vergleich gelacht.

Im Übrigen hat diese erste Begegnung ganz entscheidend meinen eigenen weiteren Lebensweg geprägt. Nach dem Kurs habe ich mich direkt für die Ausbildung der Physioenergetik entschieden und darüber Rolf Krieger kennengelernt, in dessen Praxis in Idar-Oberstein ich einige Jahre lang arbeiten konnte. Über ihn bin ich auch zur Chiropraktik und später dann zur Osteopathie gekommen.

In den folgenden Jahren bin ich Manfred auf diversen Seminaren zur ganzheitlichen Medizin immer wieder begegnet und konnte ich ihn u.a. dazu überreden, bei uns in Idar-Oberstein ein Wochenendseminar im Bereich der Pferde-Osteopathie zu leiten.

Rolf Krieger, der Manfred schon länger kannte, hatte mich über Manfreds Essgewohnheiten ins Bild gesetzt und ich wusste, dass er gerne scharf isst. Unter anderem hatte er mir von Manfreds Vorliebe berichtet, schon zum Frühstück eine Portion koreanisches Kimchi zu verdrücken.
Wer je in seinem Leben gut in ordentlich Knoblauch eingelegtes Kimchi probiert hat, wird den Geschmack und die Schärfe den Rest seines Lebens nicht vergessen. Die Vorstellung, so etwas zum Frühstück zu essen, treibt mir heute noch die Tränen in die Augen. Für Manfred jedoch schien das kein Problem zu sein. Als er dann aber im Laufe des gemeinsamen Abendessens auch noch mit sichtlichem Vergnügen die Zier-Pepperonis aus dem Blumentopf auf dem Restaurant-Tisch verspeist hatte, waren diesbezüglich keine Fragen mehr offen.

Einige Jahre später hatte ich ein weiteres Praxisseminar mit ihm geplant. Ich bin mit zwei Kollegen aus Düsseldorf, die Manfred noch nicht kannten, nach Hannover gereist, um gemeinsam mit ihm an einigen Konzepten zur Haltungsdiagnostik zu arbeiten.

Jeder, der schon mal in Manfreds Praxis gewesen ist, weiß wie speziell seine Vorlieben hinsichtlich der Inneneinrichtung waren: der indianische Totempfahl in der Mitte des Eingangsbereichs, ein aufgespannter Fallschirm in der Ecke seines Behandlungsraums, das medizinische Skelett mit indianischem Häuptlings-Kopfschmuck, die Bilderwände mit Fotos von diversen Einzelkämpfer-Seminaren, Schieß- und Waffentrainings oder von seinen Fallschirmsprüngen. Eine zeitlang gab es auch ein Terrarium mit Schlange und Vogelspinne im Wartezimmer. All dies konnte den einen oder anderen Patienten bestimmt erstmal nachhaltig irritieren. Aber immer wieder war es Manfreds zugewandte und freundliche Art, die das martialische Äußere schnell relativiert hat.

An jenem Tag also, als ich mit den anderen Kollegen, die Manfred noch nicht persönlich kannten, zu ihm in die Praxis fuhr, begrüßte er uns im Hof: gekleidet in Tarnhose, mit Muskelshirt einer Escrima-Schule und frisch rasiertem Irokesenschnitt. Man kann sich die Irritation der andern sicherlich gut vorstellen. Schließlich hatten sie erwartet, einen Spezialisten im Bereich der ganzheitlichen Medizin zu treffen – und der Anblick von Manfred hat sie sichtlich aus dem Konzept gebracht. Ich denke, das war genau die Absicht die Manfred verfolgt hat: Irritation ermöglicht neue Denkmuster.

Vor zwei Jahren hatte ich dann die Möglichkeit, im Zuge unserer Arbeit am Chinese Boxing Buch, ein längeres Interview mit Manfred zu führen. Heute bin ich sehr dankbar für diesen Moment, denn das Gespräch war äußerst interessant und bot noch einmal eine Möglichkeit, einen Blick auf seinen wirklich ereignisreichen und in vielerlei Hinsicht außergewöhnlichen Lebensweg zu werfen.

Manfred hat mit seiner ihm eigenen Art sehr viele Menschen inspiriert, ist vielen ein Mentor gewesen, hat mit seinem Können und fundiertem Wissen im Bereich der Kampfkünste vielen anderen den Weg gewiesen und hat in seiner Praxis für ganzheitliche Medizin vielen Menschen helfen können.

Was immer Manfred angefangen hat, verfolgte er meist so lange, bis er es für sich vollständig durchdrungen hatte. Dann ist er weiter gegangen. Manche haben ihm das vorgehalten, waren vielleicht enttäuscht darüber, dass er nicht beständig an einem Platz, bei nur einer Sache geblieben ist. Ich denke jedoch, dass Manfred sich immer bewusst war, dass nichts im Leben bleibt, wie es ist, sondern sich alles immer im Fluss und in steter Veränderung befindet und dass genau dies die Grundlage für eine stetige Weiterentwicklung ist. Alles andere hätte für ihn Stillstand bedeutet und ich denke nicht, dass dies seinem Naturell entsprochen hätte. Ich habe Manfred immer als einen neugierigen, aufgeschlossenen und interessierten Menschen erlebt und ich möchte glauben, dass er ein volles Leben gelebt und darin mehr erreicht hat als die meisten von uns.

Du wirst uns allen sehr fehlen.
Gute Reise Manfred!